Ein Jahr in Indien

Lea Prüss aus Schönhorst bei Kiel war von September 2010 an ein Jahr in Indien. Sie hat dort im Bundesstaat Orissa an einem Entwicklungshilfeprojekt des Nordelbischen Missionszentrums aus Hamburg teilgenommen.

Lesen sie hier Ihren Bericht. Er besteht aus vier Teilen.

  1. September 2010 bis November 2010
  2. Dezember 2010 bis Februar 2011
  3. März 2011 bis Mai 2011
  4. Juni 2011 bis August 2011


September pfeil Oktober pfeil November pfeil

Nun ist es ziemlich genau drei Monate her, dass eine Gruppe acht junger Deutscher im Norden ihres Heimatlandes aufbrach, um sich unterschiedlichste Erwartungen, Wünsche und Träume zu erfüllen.
Die Reise ging nach Indien. Ein Staat, in das ihr Heimatland Deutschland ganze 9,2 Mal reinpasst und dessen Vielfältigkeit dennoch nicht allein durch die Größe zu erklären wäre.
Nach einer intensiven Vorbereitungszeit auf die kommenden Monate und drei unterschiedlich anstrengenden und langen Flügen betraten wir, Berit, Lorenz, Sven, Christian, Lynn, Fabian, Marie und ich, am sechsten September 2010 zum ersten Mal indischen Boden: Vishakapatnam im Bundesstaat Andhra Pradesh.
Dort wurden wir sofort von Mitarbeitern der indischen Partnerorganisation IRDWSI (Integrated Rural Development Weaker Sections in India) in Empfang genommen und in den Nachbarstaat Orissa zu unserem neuen Wohnsitz nahe der Kleinstadt Semiliguda gefahren. An diesem Punkt ging die Reise für Marie, die mit dem Programm „Der Andere Blick“ für drei Monate in Indien ist, noch einige Kilometer weiter zu ihrer Arbeitsstelle in Bissam-Cuttack.

Die Organisation wird hier meist als WIDA bezeichnet. Sie arbeitet seit der Gründung durch Stanley William und Dr. K. Rajaratnam im Jahr 1981 in den abgelegenen ländlichen Bereichen Orissa - Koraput sowie Malkangiri – mit Adivasis, Dalits und anderen benachteiligten Bevölkerungsgruppen.
In den ersten Tagen hier bekamen wir von den Mitarbeitern mehrere Einführungen und einen guten Überblick über die Arbeit der Organisation. Nach einer kurzen Akklimatisierungsphase und dem Auskundschaften der näheren Umgebung, begann der Oriya-Sprachkurs.
Die Freiwilligen, die im Jahr zuvor hier waren, hatten diesen Luxus nicht; stattdessen begann für sie kurz nach der Ankunft die „Dorfphase“ bei den Ureinwohnerstämmen ohne vorherigen Unterricht.
Und selbst im Kurs hatten wir zu Beginn Schwierigkeiten dem Lehrer zu folgen, das es einfach Unmengen von Schriftzeichen (ca.400) gibt und uns das „indische Englisch“ des Lehrers ziemliche Probleme bereitet hat. Insgesamt hatten wir hier in Indien gute vier Wochen Sprachkurs, der sich in Ergänzung zu unseren Oriya-Stunden in Deutschland als äußerst hilfreich und sehr empfehlenswert herausgestellt hat, da wir so zumindest auf einen guten Grundwortschatz und etwas Grammatik zurückgreifen konnten.
Neben den zweimal täglich stattfindenden Sprachkursen hatten wir außerdem Zeit, uns die nahegelegenen Märkte in Semiliguda und Sunabeda anzuschauen, um erste Erfahrungen beim Einkaufen und Feilschen machen zu können.
Durch unsere Entsendeorganisation, das Nordelbische Missionszentrum (NMZ), hatten wir bereits vor der Abreise Kontakte zu Indern knüpfen können, die hier in der näheren Umgebung wohnen. So zum Beispiel Ashu aus der Distrikthauptstadt Koraput oder Tikki aus Jeypore. Ashu hat für ein Jahr in Deutschland gelebt und ein soziales Jahr in einem Altenheim in Schleswig geleistet. Im September haben er ohne einige Freunde von ihm uns einige Male auf dem Campus besucht und am 26. hat er uns eingeladen, den Gottesdienst in Koraput zu besuchen. Das war eine grandiose Erfahrung und Inder und Deutsche gleichermaßen waren sehr begeistert und beeindruckt. Wir haben uns auf Oriya der gesamten christlichen Gemeinde vorgestellt und ein deutsches Lied gesungen. Nach dem ca. zwei Stunden dauerndem Gottesdienst sind wir zu Ashu nach Hause gegangen, wo wir mit der Familie Kaffee und Kuchen gegessen und musiziert haben. Seine Cousine hat uns Mädels wunderschöne Hennatattoos auf die Arme gemalt. Anschließend haben sie uns das Tribal Museum von Koraput gezeigt und uns so einen Vorgeschmack auf unsere nahende „Dorfzeit“ geliefert. Es ist unglaublich viel wert, schon jemanden im Gastland zu kennen, da solche Bekanntschaften es sehr viel einfacher machen Fuß zu fassen und sich richtig zu integrieren. Man merkt auch, wie viel Lust die Inder daran haben, alles zu zeigen und Zeit mit uns zu verbringen, was alles ungemein erleichtert.

Gegen Ende des ersten Monats sind einige von uns häufig in das nahe gelegene „Bridge-Course-Camp for girls“ gegangen und haben den Mädchen Spiele beigebracht und uns mit den Lehrern über das Camp und die herrschenden Probleme unterhalten. WIDA hat diese „Bridge-Course-Camps“ vor acht Jahren ins Leben gerufen, um Schülern, die ihr Examen aus unterschiedlichen Gründen nicht bestanden haben, eine zweite Chance zu geben. Die Schulabbrecherrate ist bei der indigenen Bevölkerungen und den unteren Kasten sehr hoch. Der Aufenthalt im Camp ist kostenlos, die Kinder werden je nach Alter der 5. oder 7. Klasse zugeteilt und nach zehn Monaten findet an einer staatlichen Schule die Prüfung statt. Bei erfolgreichem Abschluss haben die Jungen und Mädchen dann die Möglichkeit, weiterführende Schulen zu besuchen und sich ihre Zukunft anders zu gestalten.
Des Weiteren haben wir an den monatlichen Treffen der Mitarbeiter teilgenommen und die weiterführenden Aufgaben besprochen.

Am 10.10. war es dann endlich so weit: unsere große Gruppe deutscher Freiwilliger teilte sich auf, um den kommenden Monat in Adivasi-Dörfern zu verbringen.
Da Sven und ich uns besonders für den Arbeitsbereich der nachhaltigen Landwirtschaft interessieren, kamen wir nach Dokriguda, einem Dorf, in dem WIDA vor zwei Jahren ein „Bio-Farming-Projekt“ gestartet hat. Die 211 Einwohner zählen zum Stamm der Gadava (sprich: Godva), ihre Sprache ist Godva, außerdem sprechen sie ihr lokales Oriya, etwas Hindi, Telgu, Porja und sicher noch einige weitere Dialekte, Englisch jedoch überhaupt nicht. Das Sprachenwirrwarr, zu dem wir dann noch Deutsch beisteuerten, erwies sich auch sofort als das größte Problem. Daher waren besonders zu Anfang sehr froh, dass ein WIDA-Mitarbeiter die meiste Zeit mit uns im Dorf sein würde und sich so unsere Kommunikationsmöglichkeiten erheblich steigerten. Untergerbacht waren wir im Gemeinschaftshaus, haben die Mahlzeiten aber immer mit einer Familie eingenommen und auch sonst das Haus nur zum Schlafen genutzt.
Ich habe mit den Frauen in den Bergen Feuerholz geschlagen und auf dem Kopf an die 2 Kilometer ins Dorf getragen, eine Menge Unkraut gejätet, Ingwer und Koriander sowie Reis und Roggen mit kleinen „Mirakulix-Sicheln“ geerntet, sie zu Bündeln geschnürt und diese anschließend zu den Lagerplätzen getragen. Ich bin mit den großen Viehherden des Dorfes den ganzen Tag in den Bergen herum gekraxelt, um sie weiden zu lassen, und habe dabei frisch geröstete Maden zum Mittag gegessen und die wunderbare Aussicht genossen. Und nebenbei haben uns die Mitarbeiter von WIDA eine Menge über das bio-farming erzählt und die parktische Umsetzung gezeigt.
In Dokriguda gibt es keinen Strom oder fließendes Wasser. Letzteres bedeutet unglaublich schwere Arbeit für die Frauen und Mädchen an den Wasserpumpen viele Male am Tag, denn jeder Wassertropfen, der zum Kochen, Waschen und zum Trinken benötigt wird, muss erst hochgepumpt und dann in Töpfen zu den Häusern getragen werden. Die Tatsache, dass es keinen Strom gibt, fand ich persönlich sehr schön: die Nächte sind unglaublich ruhig und dunkel und man braucht nur ein kleines Licht, um die kleinen Räume zu erhellen und geht früh Schlafen. Außerdem werden aufgrund fehlender Medien die traditionellen Bräuche freudig am Leben erhalten. Wir haben im Dunkeln nach dem Abendessen häufig mit den Einwohnern gesungen, Musik gemacht und den traditionellen Tanz demsha getanzt sowie Theater gespielt. In die Zeit unseres Aufenthaltes fielen glücklicherweise auch zwei Pujhas-Feste, die von dem ganzen Dorf gefeiert wurden, um den Göttern für das Wohlbefinden der Einwohner zu danken. Außerdem wurden drei Babytaufen gefeiert, für die die eine Familie zwei Fernseher samt Stromgenerator organisiert hatten, die beide die ganze Nacht in voller Lautstärke genutzt wurden.
Mit unserer „Gastfamilie“ haben wir viele andere Dörfer besucht und die tribal-Märkte in der Umgebung abgeklappert. Es hat uns die ganze Zeit über an nichts gemangelt, konnten wie gewohnt unter einem Mosquitonetz nächtigen und wir wurden gut mit Obst sowie mit dorfeigenem Trank und Speis versorgt, was immer sehr interessant und ohne Ausnahme auch sehr lecker war – auch vor Krebsen samt Panzer haben wir nicht Halt gemacht.
Wir haben mit den Dorfleuten gelebt und gearbeitet, das war vielleicht die schönste Erfahrung meines 20-jährigen Lebens. Ich fand es sehr schade, als der Monat vorbei war, und hoffe, bald für einige Zeit wieder zurückkehren zu können, denn man war gerade so gut dabei, die Sprache und die Namen zu lernen und die Beziehungen unter den Leuten herauszufinden.

Die Rückkehr hier auf den Campus in Semiliguda war mit einigen Annehmlichkeiten verbunden, wie zum Beispiel dem Bett, der Dusche und der Toilette, auf die ich jedoch lieber noch etwas verzichtet hätte, um noch ein Weilchen in Dokriguda bleiben zu können. Trotzdem habe ich mich sehr darüber gefreut, mich wieder mit den anderen austauschen zu können und uns gegenseitig unsere Dorferlebnisse zu schildern.
Am darauffolgenden Wochenende sind wir morgens nach Jeypore gefahren, um Tikki zu besuchen und am Gottesdienst teilzunehmen. Die Kirche ist wesentlich größer als die in Koraput und man merkt, dass der Lebensstandart der Leute dort etwas höher ist. Der Gottesdienst war wieder sehr schön; die Kirche hat seit einigen Jahren eine junge Trompetengruppe, die sich schon sehr gut anhören lässt. Nachmittags gab es einen Kindergottesdienst mit anschließendem Unterhaltungsprogramm kleinen Spielchen und viel Musik. Das hat uns sehr gefreut, die Kirche organisiert viel und bietet Programm für die Kinder und Jugend. Anschließend haben wir uns sehr gut mit den Trompetenjungs unterhalten, die uns mittlerweile trotz der zweistündigen Motorradfahrt schon öfters besucht haben.
Die folgenden Wochen haben wir damit verbracht, uns in Zweier- bzw. Dreiergruppen einen konkreten Einblick in drei Teilbereiche der WIDA-Arbeit zu verschaffen und anschließend mitzuarbeiten.
Der erste Bereich war das „Bridge-Course-Camp“, wo wir dem Unterricht zunächst in jedem der sieben Fächer (Englisch, Mathe, Oriya, Naturwissenschaften, Geschichte, Geografie, Zeichnen) bei den drei Lehrern zugeschaut und später auch Fächer wie Englisch und Geographie unterrichtet haben. In der Mittagspause haben wir mit den Mädchen zusammen gegessen und anschließend sportlich Lieder gesungen. Vom Unterricht hatten wir einen guten Eindruck, die Lehrkräfte bemühen sich sehr und sind auch regelmäßig anwesend, da sie gut bezahlt werden – im Gegensatz zu den staatlichen Schulen in den Dörfern, wo die Lehrer häufig mit Abwesenheit glänzen.
Der zweite Arbeitsbereich ist die Dokumentationsarbeit hier in der Bücherei auf dem Campus. Hier wird ein unvorstellbar großer Umfang an Wissen gesammelt, akribisch geordnet und für die Allgemeinheit, z.B. für Lehrer oder Studenten, zugänglich gemacht.
Aber die für mich mit Abstand interessanteste Arbeitserfahrung der letzten Wochen war die Arbeit mit dem Gesundheitsteam. Jeden Tag fährt es in andere Dörfer, um die Bewohner über Hygiene aufzuklären, Medikamente und Ratschläge werden ebenso verteilt wie kleine Saatpakete für Gemüse oder Broschüren über neuste Bio-farming Methoden. Weiterhin werden die Daten sämtlicher Kinder wie Alter, Größe, Gewicht etc. zweimal jährlich erfasst und verglichen. Meiner Ansicht nach ist dies eine unglaublich wichtige Arbeit, da man direkt in die Dörfer fährt und so die Gesundheit der Menschen und den Zustand des Dorfes sowie der Felder am Besten beurteilen.
Vom zweiten bis zum vierten Dezember hatten wir hier internationales Seminar zum Thema „youth, democracy & development“. Die Teilnehmer kamen aus den umliegenden Adivasi-Dörfern, Jeypore und Deutschland. Die Gäste aus unserem Heimatland waren Jana (Mitarbeiterin des NMZ) sowie Tilmann (Nordelbischer Jungendpastor aus Kiel). Wir haben uns sehr gefreut, dass sie da waren und haben auch gleich bemerkt, wie sehr wir uns in den drei Monaten verändert haben, angefangen beim Verständnis des „indischen Englisch“ bis hin zu den praktischen Gewohnheiten, wie mit den Fingern zu Essen und vielen anderen kleinen Dingen. Wir haben uns bemüht, ihnen möglichst viele Seiten Indiens, die wir bereits kennengelernt haben, zu zeigen.
Außerdem haben wir uns in letzter Zeit öfter den Luxus gegönnt, im Restaurant das indische Essen zu genießen.

Drei Monate sind seit unserer Ankunft verstrichen… Drei Monate, die verschiedener kaum hätten seien können, und die sich dennoch zu einem in sich stimmigen Gesamtbild zusammensetzten lassen. Nach drei Monaten Aufenthalt hier bemerkt man schon viele kleine Veränderungen an sich selbst, die vor allem im Kontakt mit anderen Deutschen deutlich werden und wohl auf beiden Seiten für Verwunderung sorgen.

 

Ich genieße meine Zeit hier sehr und bin unendlich froh, diese Chance bekommen zu haben und hier jeden Tag neue Erfahrungen machen zu dürfen! J Ein dickes Dankeschön an das NMZ und liebe Grüße an Alle.


Dezember pfeil Januar pfeil Februar pfeil

Es ist Halbzeit hier in Indien; genauer gesagt, sogar schon nach der Pause. Die große Urlaubsreise und das Zwischenseminar liegen hinter uns und man bekommt langsam Schwierigkeiten, die vielen neuen Ideen und alten Vorhaben auch noch zeitlich in den verbleibenden sechs Monaten unterzubringen.

Der Dezember, der mit dem „youth, democracy & development“- Seminar gleich interessant begonnen hat, setzte sich auch so fort. Es war ein sehr schöner Monat, geprägt von strahlend blauem Himmel, dem Besuch einer anderen Freiwilligen, Weihnachtsvorbereitungen, Veranstaltungen und vielen Gottesdiensten, sowie von angenehm temperierten Tagen und sehr frischen Nächten.
Mitte des Monats kam Marie uns für zwei Wochen besuchen, sie hat für drei Monate mit dem Program „Der andere Blick“ in Bissam Cuttack, einer Stadt im Norden Orissas, mit Kindergruppen gearbeitet. Wir haben ihr „unsere“ Dörfer gezeigt und so konnte sie auch noch einen kurzen Blick in den Alltag in das das Leben der Adivasi machen. Das Umfeld, das sie kennengelernt hatte, war schon um einiges moderner, städtischer und daher vollkommen anders.
In der Weihnachtszeit gab es unglaublich viele Anlässe, zu denen wir Mädels uns in Saris gewickelt haben. Es ist kaum vorstellbar, mit welcher Sorgfalt der weibliche Teil der indischen Bevölkerung die bis zu sieben Meter Stoff um sich oder andere herumwickelt und die Falten drapiert, das ganze dann noch ein zwei Mal wieder fallen lässt, um es mit stoischer Ruhe erneut in Angriff zu nehmen. Und wenn ich dann langsam ungeduldig werde und mir denke, das reiche jetzt auch und es müsse ja nicht alles perfekt fallen, werde ich jedes Mal wieder eines Besseren belehrt, denn: alles MUSS perfekt fallen! Lynn und ich hatten es sogar schon, dass wir bis auf den Unterrock wieder ausgewickelt wurden, ich zwei Ketten abnehmen musste, Lynn eine bekommen hat und wir, nach gut 30 Minuten als Anziehpuppen, jeder mit einer Sarischleppe in der rechten Hand („Die müsst ihr jetzt die ganze Zeit so halten.“) vor dem Rest unserer Gruppe standen und doch ziemlich überrumpelt waren.
Die Vorweihnachtszeit verging; an Sonntagen versuchten wir indische Nudeln zu kochen, wobei die unterschiedlichsten „Massen“ auf unseren Tellern landeten, und Weihnachten kam immer näher - ein ziemlich seltsames Gefühl, wenn jeden Tag strahlend blauer Himmel ist und man in der Sonne beinahe zerfließt. Wir versuchten etwas weihnachtliche Stimmung in uns zu wecken, indem wir Sterne falteten und Lamettagirlanden kauften, um sie in unseren Vorgärten und Zimmern aufzuhängen. Lorenz und Christian sind sogar noch weiter gegangen und haben zu ihrem Sharuk Khan Poster (India’s most famous actor) auch noch einen großen, dreidimensionalen Stern gehängt, der allerdings eher an eine Diskokugel erinnert als an einen Weihnachtsstern. Ein Weihnachtsbaum durfte natürlich auch nicht fehlen und so stand pünktlich am 24. ein kleiner drahtig-biegsamer Lamettatannenbaum auf unserem Essenstisch. Die Familie Stanley trudelte so ab dem 22. Dezember aus allen Himmelsrichtungen hier auf dem Campus ein und Mutter und Tochter begannen sofort Haus und Terrasse auf möglichst indische Art zu schmücken: Lichterketten am Haussims, riesige Sterne und Lamettagirlanden sowie einige Nadelzweige, die mit alten Weihnachtskarten und … viel Lametta behängt wurden.
Da hier in Indien erst am 25. richtig gefeiert wird, haben wir den Tag ganz entspannt unter uns verbracht. Mittags waren wir bei „Chicks & Cheese“ essen, einem sehr angenehmen Restaurant in Semiliguda; wir haben uns den Bauch vollgeschlagen und kamen aus dem Schwärmen gar nicht mehr raus – mittlerweile ist es unser Stammrestaurant geworden.
Am 25. Dezember sind wir morgens früh aufgestanden, Berit hat uns mehr oder weniger schnell in unsere Saris gewickelt und los ging es zum Gottesdienst nach Putsil, einem Dorf in den Bergen, in dem WIDA seit vielen Jahren arbeitet, ein Mini-Hydro-Projekt ins Leben gerufen hat und das nun eine Art Vorzeigedorf geworden ist. Die Dorfleute hatten zwischen den zwei Häuserreihen aus Bambus, Blättern und roten Saris mehrere Torbögen und ein wunderschönes grünes Dach errichtet; am einen Ende war eine Bühne aufgebaut und unter dem schattenspendenden Dach trudelte die Dorfgemeinschaft langsam ein. Der Gottesdienst dauerte vier Stunden. Wir hatten uns schon an längere Gottesdienste gewöhnt, das war allerdings wieder eine neue Dimension und auch für die meisten Dörfler kein Genuss. Es war trotzdem ein echt schöner Gottesdienst, viele Kinder und Jugendliche des Dorfes haben vorne gesungen und auch wir durften zwei Lieder zum Besten geben. Anschließend haben wir dort lecker Reis mit Gemüse und Fleisch gegessen und schöne Bilder gemacht. In Putsil haben wir ein paar junge Leute getroffen, die richtig Englisch sprechen können und die Kinder tragen schicke Turnschuhe, modische Hosen oder Kleider – ein krasser Unterschied zu den meisten anderen Dörfern, die wir bisher kennengelernt haben.
Am Abend haben wir mit der ganzen Familie Stanley, den Mitarbeitern und einer befreundeten schwedischen Familie ein nettes Gemeinschaftsspiel gespielt (ähnlich zu unserem berühmten Schokoladen-Auspack-Spiel), eine große Gemeinschaftsandacht gehalten, zu der jeder von uns einen Teil beigetragen hat, und anschließend alle gut zusammen gegessen. Wir Freiwilligen haben – auf speziellen Wunsch von Christian - eine riesige Butter-Scotch Torte geschenkt bekommen, im Gegenzug bestand unser Geschenk für die Familie aus einer großen Fotocollage mit Bildern aus unserer bisherigen Zeit in Indien.
Zwei Tage später ging es für Marie wieder zurück nach Deutschland. Für den 28. hatten wir von dem Jugendkoordinator der JELC (Jeypore Evangelical Lutheran Church) eine Einladung zu einem weihnachtlichen Chorwettbewerb, Start um 10 Uhr morgens. Da wir unsere Inder kennen, kamen wir gegen halb 11. Der eigentliche Beginn der Veranstaltung war dann 19 Uhr abends! Lynn und ich quälten uns die ganze Zeit in unseren Saris, mit der Schleppe in der rechten Hand, die ich trotz „Verbots“ doch recht schnell noch irgendwo mit ins Gewand steckte. Wir haben dann den Tag damit verbracht, das Mittagessen zuzubereiten, uns mit einigen Chormitgliedern aus den zehn teilnehmenden Orten zu unterhalten und unsere Songs zu proben.
Als der Wettbewerb schließlich losging war es dunkel und kalt und es fiel uns schwer unsere wärmenden Decken zurückzulassen, als wir als erste Gruppe auf die Bühne durften, um vor gut 500 Zuschauern „Leise rieselt der Schnee“ und eine peppige Version von „Stern über Bethlehem“ zum Besten zu geben; Lorenz mit seiner Trompete, Fabian mit Gitarre und Christian am Schlagzeug gaben dem Ganzen den richtigen Schwung. Es war ein sehr schöner Wettbewerb, den wir jedoch eine Stunde vor dem Ende, also gegen 23 Uhr verlassen mussten, weil wir mit anderen Zeiten gerechnet hatten.
Am ersten Tag im neuen Jahr haben wir unsere erste längere Motorradtour unternommen und sind nach Litiguda gefahren, ein vielleicht 500 Seelendorf, in dem ein Pastor mit einer deutschen Frau lebt. Der Pastor, Dinesh, hat acht Jahre lang in Deutschland gelebt und in Litiguda unter anderem eine Pfadfindergruppe ins Leben gerufen. Seine Frau hat er allerdings in Indien kennengelernt; sie ist gerade schwanger, verträgt das indische Essen nicht mehr und ist nun für einige Zeit wieder in Deutschland.
Der Januar vergeht für uns unheimlich schnell, denn wir arbeiten zurzeit für ein Patenschaftsprojekt der Kindernothilfe. Seit dem 4. Fahren wir eigentlich täglich in die entlegenen tribal-Dörfer, um Kinder für den jährlichen Report für die Familien in Deutschland zu interviewen. Der Sinn des Projektes ist es, durch die persönliche Unterstützung eines Kindes, der Familie und dem gesamten Dorf entwicklungstechnisch zu helfen. Es geht dabei um Hygiene, Ausbildung, Kinderrechte und um gezielten, nachhaltigen Ackerbau. Die Familie des Kindes hat vor einem Jahr über WIDA von KNH Samen für verschiedene Gemüsesorten, wie Tomaten, Kürbis, Knoblauch, Bohnen, Radieschen und Ingwer sowie kleine Obstbäume: Banane, Papaya, Limette, Mango und Guava erhalten; außerdem ein Mosquitonetz, Handtuch, zwei Kleider, einen Pulli und eine dünne Matte zum Schlafen oder Sitzen. Die WIDA-Mitarbeiter haben sich auch dafür stark gemacht, die Familien von monatlichen Gesundheitschecks der Kinder durch das health-team zu überzeugen und mittlerweile wurde in jedem Partnerdorf eine Kinderorganisation gegründet, für das ein Budget von 10.000 Rupees unter Verwaltung der Dorfgemeinschaft von KNH zur Verfügung gestellt wurde.
Unsere Arbeit sieht so aus, dass wir jeden Morgen um 9 Uhr mit dem Motorrad die mehr oder weniger befahrbaren Straßen in ein Dorf fahren und mit einem Staffmitglied an unserer Seite, da die meisten Kinder höchstens Kuvi sprechen, mit den Kindern und ihren Eltern sprechen. Häufig sind die Kinder so schüchtern, dass nicht einmal ein Schokobonbon sie zum Antworten überzeugen kann und so sind es leider größtenteils die Eltern, die auch den Teil der Fragen direkt an das Kind, wie nach dem Lieblingsessen (wo die Antwort interessanter Weise oft Reis ist) oder Beschäftigungen, beantworten müssen. Mittels der anderen Fragen soll herausgefunden werden, inwiefern die Familie bisher von der Unterstützung profitieren konnte.
Einige der Dörfer mit denen WIDA zusammenarbeitet liegen nahe den dicht bewaldeten Bergen, in denen sich die Maoisten aufhalten, hier werden sie Naxaliten genannt. Die Naxaliten kämpfen gegen die Regierung, die den Ureinwohnern hier das Land zugunsten großer Industrieprojekte enteignet, sie versuchen gegen Korruption vorzugehen und die Adivasi zu unterstützen – allerdings mit radikalen Methoden. Unsere Organisation wandelt hier auf einem schmalen Grad, der die Akzeptanz der Regierung ebenso beinhalten muss wie die Duldung der Arbeit durch Naxaliten. Daher konnten wir bisher zum Beispiel zwei Dörfer nicht ansteuern und müssen das die WIDA-Mitarbeiter machen lassen. Selbst Einheimische wollen häufig nicht dorthin, wo Naxaliten vermutet werden, weshalb dringend notwendige Straßenbauarbeiten oft monatelang brachliegen.
Mitte Januar ist Lorenz‘ Familie für rund eine Woche zu Besuch gewesen. Sein Vater hat uns unglaublich gut und deutsch bekocht und wir waren wunschlos glücklich. Abgesehen davon, dass wir mit längst vergessenen Speisen verwöhnt wurden, haben wir uns zusammen das NALCO-Gelände angeguckt. Die NALCO (National Aluminium Company) baut hier in 20km Entfernung seit 30 Jahren Bauxit ab. 3000 Menschen wurden enteignet, umgesiedelt und die 150 Dörfer plattgemacht, damit die größte Bauxit-Mine Asiens hier, inmitten der tribal-Dörfer, entstehen kann. Die Bestände reichen nach Angaben von NALCO noch weitere 30 Jahre, danach müsste die Firma das gesamte, mittlerweile steppenähnliche, Gelände wieder aufforsten. Das lassen wir mal so dahingestellt…

Ende Januar und Anfang Februar waren wir abgesehen von den Kinderreporten und unseren Reisevorbereitungen vorwiegend damit beschäftigt, Radish und Green Leaves in unserem Gartenland zu ernten und anschließend zu verkaufen. Wir hatten ziemlich viel Spaß dabei, denn das Gemüse wurde uns förmlich aus der Hand gerissen, weil es „gut für den Körper ist“, da es komplett biologisch angebaut worden ist. Unsere Hauptabnehmer waren dabei die beiden bridge-course-camps sowie sämtliche WIDA-Mitarbeiter.
Und am 4. Februar war es dann endlich soweit: unsere Reise durch das südliche Indien konnte beginnen. Zunächst ging es in einer sechsstündigen Bustour nach Vishakapatnam, von wo aus wir größere und weiter entfernt liegende Ziele ansteuern konnten. Unsere erste Zugfahrt in Indien ging nach Mumbai und dauerte ca. 30 Stunden; tagsüber, während wir das Hochland von Dekkan durchquerten, saßen wir entweder leicht fröstelnd in unseren A/C Abteilen oder standen schwitzend in den offenen Türen des Zuges und hielten unsere Köpfe in den heißen Wind. Des Nachts schliefen wir mehr oder weniger entspannt mit drei bis vier schnarchenden männlichen Indern. Wir machten erste Erfahrungen mit den Verkäufern, die an den Bahnhöfen in die Züge springen und von denen jeder in einer anderen monotonen, manchmal sehr unangenehmen und meistens sehr unverständlichen Stimme verschiedenste Nahrungs- und Genussmittel anpreisen.
Angekommen in Mumbai mussten wir das erste Mal feststellen, dass Hotelreservierungen bis zur mittleren Preisklasse in Indien ein Ding der Unmöglichkeit sind, was sich in anderen Städten des Südens auch immer wieder bestätigt hat. Dank einem überaus fähigen Touristenführer hatten wir jedoch nur eine kurze Zeit auf dem Trockenen und wir durften Mumbai kennenlernen… Mit viel Programm und in einem rasanten Tempo ging es durch die Straßen der Megastadt: wir sahen das Gate of India, fuhren mit dem Boot zu den elephant islands, besichtigten diese im ungewollten Schnelldurchlauf, schauten uns Kunstausstellungen und Museen an, gingen teuer Essen, kauften Elektronikartikel an Straßenständen und sahen den Sonnenuntergang von der Promenade. Außerdem waren wir in Mumbais Slum. Unser Touristenguide hat uns diese Tour organisiert, er arbeitet mit einigen der Bewohner dort zusammen, geführt wurden wir ebenfalls von einem dieser Mitarbeiter; wir durften sogar in das Haus seiner Familie. Wir alle waren vor dem Antritt einer solchen „Slum Tour“ etwas skeptisch und hatten nicht so recht gewusst, was wir davon halten sollten, da wir aber von Lorenz Familie sehr viel positives darüber gehört hatten, haben wir uns auch dazu entschlossen diese Erfahrung mitnehmen zu wollen. Und es war wirklich gut; wir konnten Plastik-Recycel-Arbeiten unter den unmöglichsten Arbeitsbedingungen sehen, die Arbeit der Töpfer- und Bäckergewerkschaften bewundern. Der Slum hat seinen eigenen Wirtschaftsmotor - teilweise wird sogar ins Ausland exportiert. Nirgendwo sonst werden die verschiedenen Gesichter Indiens so deutlich wie in der reichsten Stadt des Subkontinents: die Schere zwischen Arm und Reich mit den so unterschiedlichen Perspektiven für die Zukunft die daraus resultieren, das moderne und das traditionelle Indien mit Glauben, Rolle der Frau, Kleidung. In den zwei Tagen, die wir in der Stadt verbrachten hat Mumbai mich an Eindrücken überrollt. Ich habe wahnsinnig viel gesehen, viel zu viel um alles aufzunehmen. Wenn ich jetzt zurückdenke, habe ich sofort erstmal das Bild einer hektischen, lauten und überfüllten Großstadt im Kopf, die nach zwei Schritten ziemlich modern, nach spätestens zwei weiteren jedoch auch sehr indisch wirkt, nämlich zugemüllt, stinkig, überfüllt und arm.
In Goa haben wir uns ein Hotel in der höheren Preisklasse gegönnt und dort hat auch alles geklappt. Es waren allerdings viele weiße Touristen da, was uns ziemlich irritiert hat, denn in Orissa gibt es so gut wie keinen Tourismus. Während der gesamten Reise haben wir glaube ich keinen einzigen europäischen oder amerikanischen Touristen getroffen, über den wir im Nachhinein nicht den Kopf geschüttelt haben. Unser Hotel lag ganz in der Nähe des Colva Strandes, an dem die Einheimischen, die viel Ähnlichkeit mit unseren tribals aus Orissa haben, noch ihre Fischerei im kleinen Stil betreiben. Es war herrlich, mal wieder im Meer richtig baden zu können, da kamen richtige Urlaubsgefühle auf. In Margoa, der zweitgrößten Stadt des Staates, gibt es viele wunderschöne, imposante alte Kirchen, die teilweise im 16.Jhr. von den Portugiesen entworfen wurden und auch heute noch in sehr gutem Zustand sind, was für Indien äußerst untypisch ist.
Die nächste Etappe war der Staat Kerala, wo wir auf der Halbinsel Kochi verschiedene Sehenswürdigkeiten wie den niederländischen „Palast“ angeschaut haben. Eine Nacht haben wir in der Bergstadt Munnar verbracht, die vor allem für ihre Teeplantagen bekannt ist. Die gut fünf stündige Busfahrt dorthin habe ich sehr genossen, weil die Straße durch dichte Wälder führte, die man schon guten Gewissens Urwald nennen kann. Hier in Orissa ist der Baumbestand überall noch sehr jung bzw. gar nicht vorhanden. Obwohl wir bereits im Vorfeld viel Positives über Munnar gehört hatten, waren wir trotzdem noch sehr angenehm überrascht von der frischen Luft und der atemberaubenden Landschaft – die beinahe lückenlos Eigentum des tata Unternehmens ist und zum intensiven Teeanbau genutzt wird. In den umliegenden Wäldern soll es noch eine Menge wilde Elefanten geben, von denen wir jedoch leider keinen gesehen haben. Wieder zurück an der heißen und schmutzigen Küste Kochins, haben wir eine, touristisch ebenfalls sehr angepriesene, backwater Tour gemacht: rund 30 ausnahmslos weiße Touristen werden auf einem Ausflugsboot durch eine idyllische, dicht mit Palmen bewachsene Insellandschaft getuckert. Eine dieser Inseln wurde angesteuert und Einheimische durften vorführen, wie sie Blätter einer Kokospalme abschlagen. Ein derartiges zur-Schau-stellen habe ich bisher zum Glück selten gesehen. Rückblickend war das vielleicht wirklich der unschönste Moment der Reise, ich habe mich selten so touristisch-blöd gefühlt.
Von Kochin am Arabischen Meer sind wir mit dem Zug auf die andere Seite nach Chennai und von da aus mit dem Bus wieder Richtung Süden nach Puducherry gefahren und hatten dann den Golf von Bengalen vor der Tür. Puducherry ist eine Enklave von Tamil Nadu und war bis 1954 die Hauptstadt Französisch-Indiens. Ich war sehr beeindruckt von der Stadt, denn sie ist großflächig sauber! Es gibt ausreichend von der Stadt bezahlte Reinigungskräfte, Mülleimer und einen großen, schön angelegten Park (im französischen Teil). Außerdem konnten wir einige weitere Annehmlichkeiten genießen, die dem französischen Einfluss zu verdanken sind, wie richtiges Baguette statt labbrigem Toast, normal-süße Marmelade oder Käse. Was Berit und mir noch besonders aufgefallen ist, einige Frauen hatten Kurzhaarfrisuren und viele Frauen und junge Mädchen waren mit dem Fahrrad unabhängig unterwegs und sind so viel selbstständiger.
10 km von Puducherry entfernt liegt Auroville, ein internationaler Ort, der 1968 eröffnet wurde. Ich fand es sehr schön und interessant, die tatsächliche Umsetzung eines derart großen Traums von einigen Menschen zu sehen; meist scheitern derart ehrgeizige Vorhaben in ihrer Ausführung, dieses wird jedoch weiter verfolgt und wird noch immer ausgebaut. Die Idee von Auroville ist das Zusammenfinden aller Menschen über die Grenzen von Nationalität, Religion und Kultur hinweg.

Von Puducherry ging es wieder zurück nach Chennai und von da aus mit dem Zug nach Chirala in Andhra Pradesh, wo die kirchliche Hochzeit von Sushant Stanley mit Sunanda statt fand. Wir wurden von den WIDA-Mitarbeitern aus Semiliguda, Vishakapatnam und Chennai sehr freudig begrüßt, denn wir hatten uns lange nicht gesehen. Wir Mädels haben uns in unsere besten Saris gewickelt und die Jungs waren in ihren Anzügen mit passenden Schuhen wohl die bestangezogenen Herren, vielleicht mit Ausnahme von dem Bräutigam selbst. Die Hochzeit wurde musikalisch von zwei Pastoren mit Mundharmonika und Keyboard interessant untermalt; leider wurde die Zeremonie selber auf Telugu gehalten, sodass wir nicht besonders viel verstehen konnten. Als Glückwünsche bekam das Paar von einigen Gästen wunderschöne schwere Blumengirlanden um den Hals gehängt – beide hatten nach der fünften damit zu kämpfen aufrecht zu stehen. Ein weiterer Unterschied zu Hochzeiten in Deutschland war auch, dass es nach der Eheschließung keinen Kuss des Brautpaares gab, stattdessen wurde die unterschriebene Hochzeitsurkunde hochgehalten. Anschließend wurde mit der gesamten Hochzeitsgesellschaft gut gegessen und die Geschenke überreicht: die frisch Vermählten sitzen auf einem thronartigen Sofa in der Mitte einer Bühne in einem großen Raum, die Gäste kommen dann in Familien oder Freundesgrüppchen nach Oben, überreichen das oder die Geschenke und posieren am besten während der Übergabe für die Fotographen.
Nach gerade einmal zwölf Stunden in Chirala ging es für uns abends wieder mit dem Zug nach Chennai; da der Zug dreieinhalb Stunden Verspätung hatte, verkürzte sich dafür netterweise unsere Wartezeit auf den Anschlusszug nach Madurai in den frühen Morgenstunden. Von Madurai ging es in einem voll klimatisierten und mit einem Dolby-Surround-System ausgestatten Kleinbus in die Berge nach Kodaikanal, wo wir unser Zwischenseminar hatten. Oben in den Bergen war es unerwartet kalt und niemand hatte so wirklich geeignete Klamotten mit, da es in den tiefer gelegenen Regionen teilweise schon unerträglich heiß war. Zum Glück gab es in unserer Unterkunft ausreichend dicke Wolldecken, sodass wir uns gut einmummeln konnten, wenn tagsüber kein Sonnenfleck zu finden war. Die Umgebung und die frische, saubere Luft waren, wie bereits in Munnar, sehr angenehm und man fühlte sich eher wie in den Alpen als mitten in Indien. Das Seminar wurde unter anderem von Kerstin Neumann geleitet, die seit über zehn Jahren mit ihrem indischen Mann und zwei gemeinsamen, unglaublich smarten Töchtern in Indien lebt. Sie weiß unglaublich viel über das Land und die Leute und es war sehr interessant und spannend ihre Sicht der Dinge zu hören. Wir haben unter anderem auch über den Nutzen des weltwärts-Programmes diskutiert und dazu den Artikel „Egotrips ins Elend“ von Florian Tröpfl aus der Süddeutschen Zeitung Magazin gelesen. Ironischer weise gibt es in Kodaikanal eine internationale Schule, die auch zwei weltwärts-Plätze anbietet. Ich habe mit einigen der anderen Freiwilligen diese Schule besucht und festgestellt, dass diese Schule zwar in Indien liegt, mit dem Land selber jedoch nicht viel gemein hat: die Schüler haben beste Voraussetzungen und werden maximal gefördert, alles ist sauber, die Schule ist besser ausgestattet als viele deutsche. Es ist eine Privatschule; was haben dort weltwärts-Freiwillige zu suchen? Haben sie dort Kontakt zu der eigentlichen Zielgruppe des Programmes?
Es war sehr schön, sich mit den anderen Freiwilligen auszutauschen und von ihren Erfahrungen zu hören. Auch wenn sich die Arbeitsstellen teilweise sehr unterscheiden, gibt es doch Erfahrungen, die wir alle gemacht haben. Wir sind zu siebt die größte Gruppe von Freiwilligen an einer Arbeitsstelle, doch haben wir hier in Semiliguda die Möglichkeit ganz unterschiedliche Projekte zu machen, bei verschiedenen Arbeiten mitmachen oder auch einfach nur viele Dinge schlicht beobachten zu können, um uns dann auf verschiedenste Art einzubringen und Kontakte zu knüpfen, von denen beide Seiten zumindest aus menschlicher Ebene durchaus profitieren. An den meisten anderen Einsatzstellen ist diese Flexibilität nicht gegeben und viele der anderen Freiwilligen haben uns darum beneidet, was wir alles wissen und erlebt haben. Das hat uns geholfen nochmal über unsere Stelle nachzudenken und die vielen Möglichkeiten zu erkennen, denn zuvor hatten wir oft das Gefühl hier ein wenig abgeschnitten zu sein.
Nach dem Seminar hatten wir noch ein paar Stunden in Madurai, haben uns mit den dortigen Freiwilligen erst ihre Einsatzstelle – eine in einem kleinen Kindergarten – und ihre Wohnung auf dem dortigen Campusgelände angeschaut. Danach sind wir in den Meenakshi-Tempel gegangen, er wurde hauptsächlich im 16. und 17. Jahrhundert erbaut und ist einer der größten Hindu Tempel Indiens. Ich bin jedes Mal wieder von der indischen Götterwelt und den Hintergründen der Religion fasziniert, die einem so unverständlich ist und größtenteils verschlossen bleibt. In der Beziehung habe ich die Freiwilligen in Madurai beneidet, denn sie können diesen Tempel besuchen und haben so Zugang zu dem Indien der Hindus, die Möglichkeit haben wir hier auf dem Land natürlich nur sehr begrenzt, da die meisten Bewohner Adivasi sind, für die der Hinduismus ähnlich faszinierend aber im Grunde fremd ist.
Nach zweitägiger Reise waren wir am Freitag, den 4.März, also genau einen Monat nach unserem Aufbruch, wieder zurück zuhause, in iliguda. Insgesamt haben wir an die 7000 Kilometer mit Bus und Bahn zurückgelegt und das südliche Indien so ganz gut kennengelernt. Wir haben viele weiße aber glücklicherweise weitaus mehr indische Touristen gesehen und Orte besucht, die man in Indien nach den ersten sechs Monaten im Land nicht unbedingt vermuten würde, wie Munnar und Kodaikanal. Ich hatte sogar das Gefühl, dass die dortigen Einwohner eine etwas andere Mentalität haben – irgendwie selbstständiger und weiter denkender, aber es mag auch eine Täuschung gewesen sein. Es ist auf jeden Fall schön, wieder zurück zu sein. Denn jetzt merke ich noch mehr, wie gut ich die Mitarbeiter hier schon kenne und auch gerne mit ihnen zusammen arbeite.


März pfeil April pfeil Mai pfeil

Der vorletzte Quartalsbericht; die letzten kurzen Monate hier in Indien sind für mich sowie für zahlreiche andere deutsche Freiwillige, die seit dem Spätsommer 2010 dem indischen Klima trotzen, angebrochen – jeder wird wohl mit anderen Gefühlen an diesem Bericht sitzen; die Aufgabe ist die Gleiche; der Inhalt allerdings mit Sicherheit nicht.

Als wir im März von unserer Nordreise zurückkamen wurden wir sehr herzlich in Empfang genommen, und das nicht nur von den Mitarbeitern, sondern zusätzlich von Fabians Familie: die große Besucherwelle hatte begonnen.
Für die folgenden Tage hatte Fabian einiges an Programm für seine fünf weiblichen Besucherinnen organisiert und zwar unter anderem einen Besuch des Kolab-Staudammes. Nachdem ich mit Lorenz Familie bereits das Abbaugebiet sowie den Entsorgungssee der NALCO bestaunen durfte, kam mit dem 1973 erbauten Staudamm nun das zweite Mega-Projekt in dieser Gegend, das das Leben vieler Tribals völlig umgekrempelt hat und noch mehr von ihnen anderweitig beeinflusst, an die Reihe. Das Bild, was ich von dem Staudamm gewonnen habe, kann ich nicht anders als ziemlich makaber nennen: Insgesamt wurden über 50.000 Menschen umgesiedelt, ungefähr zwei Drittel Adivasi, ein Drittel Dalit. Die, die höher gelegen wohnen wurden enteignet und verloren so ihr fruchtbares Land für den Reisanbau. Das Bemerkenswerteste ist jedoch, dass sämtliche erzeugte Energie in den Nachbarstaat Andrah Pradesh verkauft wird und die Betroffenen daher in keinster Weise irgendwelche Vorteile daraus ziehen können. Und unterhalb des Dammes ist man gerade dabei, einen netten Park anzulegen. Dieser Park sehr schön. Es gibt tolle Wasserspiele, bunte Blumen und Spielgeräte für Kinder und sogar Damen und Herrentoiletten – aber für WEN? „Na für Touristen“, wunderbar (hier in diese Gegend verirren sich meist nicht besonders viele und vielleicht hätte man das Geld auch woanders investieren können?) – aber der Park war wohl notwendig; vielleicht musste man gerade, weil die Gegend drum herum so heruntergekommen ist, etwas so schönes erschaffen.
Einige Tage darauf, habe ich meine Familie aus Vishakapatnam abgeholt und so schnell es ging nach Semiliguda in die Berge gebracht, wo es einige Grade kühler ist. Ich habe versucht, ihnen in sechs Tagen einen möglichst guten Überblick über Land und Leute im Koraput Distrikt zu geben. Wir sind auf die Tribal-Märkte in Kundli und Pukali gefahren und haben einige wenige kostbare Stunden in Dokriguda verbracht. Das war eine super Erfahrung für meine Eltern und meine Schwester; ich habe ihnen mit den Kindern zusammen ein wenig herumgeführt. Etwas unangenehm für uns war, dass meine Gastfamilie extra für uns ein Huhn geschlachtet hatten, womit ich nicht im Geringsten gerechnet hatte, weil sie Vegetarier sind und niemals Fleisch gegessen haben, seit ich sie kenne – wir konnten leider nicht viel davon essen. Anschließend haben wir mit vielen Dorfleuten Demsha getanzt und als es dunkel wurde, wurden wir tanzend und mit Musik zur Straße begleitet – sie haben meine Schwester und mich nur sehr ungern gehen lassen und ich hätte gern die Nacht dort verbracht, was aber vielleicht etwas viel für die anderen drei Familienmitglieder geworden wäre.
Dann haben wir uns noch eine Art Freiluft-Tempel in einem Bambuswald angeschaut, den sowohl Adivasi als auch Hindus gleichermaßen besuchen. Und die letzten Tage standen der Kolab-Staudamm sowie das Vorzeigedorf der Organisation Putsil und das dortige Mini-Hydro-Projekt auf dem Programm - also zwei Projekte mit ganz ähnlichen Absichten, jedoch in völlig anderen Dimensionen und Auswirkungen auf die Umgebung. In Putsil leben rund 400 Adivasi und einige Dalits, die dank dieses Projektes mit Strom versorgt werden sowie das ganze Jahr hindurch Bewässerungsmöglichkeiten der Felder haben und so zweimal im Jahr Reis anpflanzen können.
In der Zwischenzeit waren auch Svens Familie und eine Freundin von Berit in Semiliguda angekommen und teilweise schon wieder gefahren und auch ich bin für einige Tage noch mit meiner Familie nach Vizag gefahren, wo wir uns unter anderem einen alten und völlig zerfallenen Tempel angeschaut haben. Am 20.März wurde in ganz Indien (mit Ausnahme des äußersten Südens) das Holi-Festival gefeiert, auch bekannt als Farben- oder Frühlingsfest. Das Ganze funktioniert so: Man kaufe sich Farbe. Man verteile diese auf den Mitmenschen – mit Vorliebe im Gesicht. Diese Farbe ist dabei nicht unbedingt hautverträglich, jedoch lang haftend besonders nach Verbindung mit Wasser (Ich habe zwei Tage später auch nette allergische Reaktionen gehabt und immer noch rote Haare). Aber Spaß macht es zweifellos, allen möglichen Leuten liebevoll die Wangen mit Farbe zu streicheln und ihnen „Happy Holi“ zu wünschen. Leider konnten Nina und ich nicht so ganz nach Lust und Laune mitfeiern, da wir als junge, weibliche Weiße sehr begehrte Tanzpartner der männlichen indischen Vertreter waren und man von schlecht auch noch verlangen kann, dass sie sich im Rausche des Festes einigermaßen zurückhalten - da schwappen die Hormone dann leicht über und es fehlten eindeutig unsere europäischen Jungs, die bei uns auf dem Campus etwas ruhiger feierten.
Wieder zurück in Semiliguda wurde ich schon sehnsüchtig erwartet, denn es wartete wieder KNH-Arbeit. Nun mussten sämtliche Reporte Korrektur gelesen werden, in PDF umgewandelt, ausgedruckt, mit Fotos versehen und schließlich an die Kindernothilfe in Deutschland verschickt werden. Das war eine leicht nervenaufreibende Arbeit – wir mussten jeden einzelnen Report mindestens zehn Mal durchlesen und wenn man dann glaubte, nun wäre alles in Ordnung, kam nicht selten einer der Mitarbeiter und verkündete strahlend, wir sollten doch in alle Berichte noch diesen Satz, in zwei Drittel noch jenen Satz und in ein paar andere noch eine andere Ergänzung hinzufügen, da die Familien nun zum Beispiel auch noch mit kitchen garden seeds, education materials oder forest saplings ausgestattet worden waren, was man allerdings nicht schon vorher hätte erwähnen können. Dann kam es teilweise wieder zu Problemen, wenn jemand versehentlich eine alte Version des Reports weiterverwendet hat und so hatten wir häufig doppelte oder dreifache Arbeit. Während der Cricket-Spiele der gerade stattfindenden Weltmeisterschaft hier in Indien stand eine Arbeitspause außer Frage. Am zweiten April war das gut neunstündige Finale zwischen Sri Lanka und Indien (Indien gewann mit 276 zu 274 Punkten) obligatorisch für sämtliche Anwesende auf dem Campus. Und zwei Tage später waren die KNH-Report endlich bereit zum verschicken.
Für die nächsten Tage hatten wir uns ein kleines Mega-Projekt vorgenommen: unsere Küche zu säubern und von Kakerlaken zu befreien. Es war unglaublich wie viel Inventar doch in so einem kleinen Raum Platz findet und was für Überlebenskünstler die lieben „kleinen“ Insekten seien können. Nach drei Tagen haben wir sämtliche Töpfe und Pötte wieder eingeräumt und nach einem weiteren Tag fanden wir bereits die eine oder andere lebendige Kakerlake – herrlich.

Da die Kinder aus den beiden Bridge-Course-Camps gerade ihre Abschlussarbeiten geschrieben hatten, haben wir für den 10. und 11. April eine Art Abschlussprogramm auf die Beine gestellt. Wir haben viele schöne Spiele gespielt und Lieder gesungen, Drachen und Jonglierbälle gebastelt, für ein gutes Mittagessen inklusive Hühnchen gesorgt und ihnen zum Nachtisch super leckeres Eis von Sven serviert, was eher skeptisch verzehrt wurde – es ist ja schon eher kalt im Mund. Außerdem haben wir zwei große Weltkarten und Becher für das die Schulen besorgt, eine Schaukel und eine Hängematte aufgebaut und abends gemeinsam Stockbrot gemacht und Demsha getanzt. Es gibt nichts Schöneres, als die Skepsis und Freude zu sehen, mit der die Schaukel und die Hängematte getestet wurden!

Im April ist Choito Porob in den Adivasidörfern - Festivalzeit. Ca. eine Woche lang wird nicht gearbeitet – abgesehen von den täglich anfallenden Aufgaben wie z.B. Wasserholen, was unsereins als eine der Anstrengendsten bezeichnen würde. Das Festival liegt zwischen den landwirtschaftlichen Anbauphasen. Jede einzelne Familie sowie die Dorfgemeinschaft gemeinsam, bittet die Naturgötter um fruchtbares Land und eine gute Ernte, weiterhin für die Gesundheit der Familienmitglieder. Choito Porob wird häufig auch als Jagdfestival bezeichnet: Sämtliche männliche Dorfbewohner, abgesehen von den Kindern (bis ca. 13) und den Alten (undefinierbares Alter), ziehen morgens mit Steinen, Stöcken und Äxten bewaffnet in die Berge, um Wild zu erlegen. Währenddessen ist der Großteil der Mädchen und Frauen an der Straße, wo sie eine Schranke errichtet haben und eine kleine Gebühr von allen Vorbeikommenden verlangen.
Ich bin ungefähr zwei Wochen lang wieder in Dokriguda gewesen und zwischendurch ab und zu zum Trinkwasser holen nach Semiliguda gefahren. Mein Osterfest war auch etwas anders als gewohnt, da im Dorf keinerlei Christen wohnen; stattdessen hat jede Familie ca. zwei Tage vorher auf ihren Feldern morgens ein Pujhas gefeiert und gekocht und anschließend haben die Kinder oder Frauen in jeden Haushalt eine Portion frischen Reis in Siali-Blättern (Schale) gebracht – das war eine sehr schöne Geste und mein diesjähriges Osterfest.
Meine Tage im Dorf habe ich größtenteils an der Straße verbracht, um möglichst viel Geld zu sammeln für die Finanzierung des Festivals. Außerdem durfte ich einmal mit ein paar jungen Männern auf die Jagd gehen, was eigentlich reine Männersache ist. Wir waren leider nur kurz unterwegs, da wir zu wenige Reisfeld waren und so ziemlich aufpassen mussten, keinen Bären aufzuscheuchen. Während der Zeremonien habe ich mich bemüht, so viel es geht davon zu verstehen – ich kann mich mittlerweile wirklich ganz gut mit den Dorfleuten verständigen und kann auch immer mehr Wörter und schon ein paar ganze Sätze in der Stammessprache Godova, allerdings sind komplizierte Gespräche über ihren Naturglauben und den Sinn hinter einigen besonderen Aktionen davon ausgenommen. Im Nachhinein konnte ich die Mitarbeiter dazu etwas befragen und nun bin ich etwas schlauer. Gegen Ende des Festivals haben einige Familien bereits wieder auf den Feldern gearbeitet: Gemüse anpflanzen oder Unkraut jäten in den Reisfeldern (neue Aussaat im Jan/Feb). Nicht selten versinkt man in den Feldern bis zur Hüfte im Schlamm und ich hatte Mühe, nicht umzukippen, wenn man sich mit gesenktem Kopf unter senkender Sonne durch die Felder pflügt – ich hatte schon nach ein paar Stunden Kopfschmerzen, weil das gesamte Blut in den Kopf wandert… meine Gastmutter meinte, sie möchte gerne nach Deutschland, wo es keine Reisfelder gibt – sehr verständlich!
In der Zeit vor der Neuaussaat dürfen die Kühe frei durch das Gelände streifen, nur die Ziegen und Schafe müssen von einer Person bewacht werden. Gegen Abend kommen sie von selbst zu ihren Ställen zurück.
Ende April war William Stanley hier und so bekamen wir letztlich doch nochmal die Chance nach Bodisil zu fahren, ein Dorf tief in den Bergen, inmitten der Wälder, in denen sich die Maoisten verstecken (Ich habe noch nie soo kahle Berge gesehen!), in dem WIDA ein weiteres Mini-Hydro-Projekt auf die Beine gestellt hat. Der Damm ist bereits fertig gebaut, ebenso sämtliche wasserleitende Gräben, nur das Powerhaus ist noch im Bau – es soll, soweit ich weiß, im Juli fertiggestellt sein und das Dorf mit Strom versorgen. Die Fahrt dorthin war selbst für indische Verhältnisse sehr abenteuerlich und wir mussten ein paar Mal aussteigen, als die Straße durch mehr oder weniger große Wasserläufe und Matschkuhlen gefahren werden mussten. Neben dem Problem mit Maoisten, weshalb einige Fahrer diese Strecke nicht fahren wollten, hat es wohl auch am Zustand der Straße gelegen haben, dass das Baumaterial nicht so schnell ankam wie gewünscht und es zu Verzögerungen kam.

Anfang Mai bekamen wir erneut Besuch von Deutschen, dieses Mal allerdings andere weltwärts-Freiwillige von verschiedenen Organisationen aus Süddeutschland, die wir auf unserem Zwischenseminar im Februar kennengelernt hatten. Sie waren alle sehr begeistert von unserer Stelle; zwei von ihnen habe ich für eine Nacht mit nach Dokriguda genommen, was sie nachhaltig beeindruckt hat. Ich habe lange überlegt, ob ich das mache, aber letztlich war es für beide Seiten eine echte Bereicherung, die beiden anderen Freiwilligen waren aber auch besonders klasse und konnten den Besuch wirklich einfach genießen, weil sie sich auf alles eingelassen haben, ohne irgendwelche Erwartungen zu haben, dass die Leute sinnvolle Beschäftigungen für uns suchen – bei vorangegangenen Besuchen mit unser Truppe lief es gerne darauf hinaus, dass jemand es für Zeitverschwendung hielt und keine Ahnung hat, wie man mit der herrschenden Situation (Die Dorfleute arbeiten, um zu überleben und haben nicht unbedingt ständig Zeit, um irgendwelche weißen Besucher zu unterhalten) umgehen sollte…. Aber wie gesagt, da war ich wirklich unendlich glücklich und erleichtert, dass es mit den anderen beiden (Zino und Magda) einfach super schön war!

Der 11. Mai war Stichtag für die Nordreise von Berit und mir. Zunächst nach Vishakapatnam und von da aus mit dem Nachtzug nach Kolkata. Wir waren drei Nächte dort, haben wohl soviel geschwitzt wie noch nie zuvor und trotzdem gewannen wir einen weitaus netteren Eindruck von der Stadt als von Mumbai. In Kolkata stehen viele noch alte Gebäude aus der Kolonialzeit, die Stadt ist insgesamt nicht so eng und vollgestopft und es gibt viele Grünflächen und hübsche Parks. Das Victoria Memorial und der berühmte Khalighat Tempel sind auf jeden Fall einen Besuch wert, selbst bei der Hitze. Und zum Abkühlen kann man sich sehr gut im Planetarium ansehen. Die Leute dort sind sehr modern und wirklich viele sprechen Englisch, allerdings sieht man nicht selten Raucher in Öffentlichkeit. Wir haben einen Tagesausflug nach Diamand Harbour gemacht (Ein Herr aus Orissa hat uns netterweise auf sein Motorrad genommen) und auf dem Weg dorthin, kamen wir an vielen zweifelhaft aussehenden Firmen vorbei, sobald man die Stadt verließ; einige mit deutschem Namen…
Von Kolkata aus fuhren wir weiter nach New Jaipalguri, der letzten Zugstation von Darjeeling. Da der berühmte Toy Train zurzeit nur oben in den Bergen verkehrt, fuhren wir mit rund zwölf weiteren Leuten in einem Jeep dreieinhalb Stunden hoch ins Himalaya Gebirge nach Darjeeling (2185m). Oben n den Bergen ist das Klima herrlich angenehm, die Leute sind klasse und wir hatten ein super Hotel. Einen Tag bin ich rüber nach Sikkim gefahren und habe dort in einem kleinen Kloster mehrere Stunden verbracht, was unglaublich interessant war. Am Tag darauf sind wir mit einem gleichgesinnten Iren sowie einem Führer auf eine vier-tägige Trekkingtour aufgebrochen, von denen es leider zwei ziemlich durchgeregnet hat und uns so die Aussicht auf den Kanchenjanga und den Everest verwehrt blieb (Den Kanchenjanga konnten wir dafür von Darjeeling aus bewundern).
Wir sind im Grenzgebiet zwischen Indien und Nepal gewandert, sodass wir unverhofft sogar zwei Nächte in Nepal verbringen konnten. In der gesamten Gegend wohnen viele Tibeter, was mich persönlich besonders gefreut hat. Und in jedem Haus, in dem wir einkehrten, saßen die Jüngsten der Familie mit einem Familienmitglied oder Freund eifrig an einem Tisch und lernten Englisch und diese Häuser sind einfach noch viel abgelegener und schwieriger zu erreichen als hier im Koraput Distrikt. Die Leute dort oben haben auch soviel positive Energie – kurz, wir waren komplett begeistert von dieser so unglaublich unindischen Gegend Indiens! Frauen in Saris sind dort eine absolute Rarität, sie tragen dort lieber parktische, wärmende und gemütliche Klamotten wie Strickjacken z.B.
Nach sechs wunderschönen Tagen ging es leider wieder abwärts ins heiße bengalische Flachland und von da aus nach ca. 30-stündiger Fahrt nach Bhubaneshwar, der Hauptstadt Orissas.TempelSpätestens nach der Ankunft im dortigen Hotel, waren wir dann wieder auf dem Boden der indischen Tatsachen angekommen. Wir beschlossen, das Beste daraus zu machen, obwohl wir dem Norden sehr nachtrauerten und nun schnell nach Haus (Semiliguda) wollten, wo die Temperaturen nicht ganz so unbarmherzig sind. Wir haben dem Science Museum einen Besuch abgestattet, die Erfahrung „indisches Kino“ blieb und jedoch verwehrt, da es selbst in der Hauptstadt keinen einzigen Film auf Englisch gibt. Am zweiten Tag haben wir einen Großteil der Hinduistischen Tempel besichtigt, die teilweise im 9. Jahrhundert erbaut wurden. Da konnten wir glücklicherweise noch so einiges über den Hinduismus lernen.

Wieder zurück in Semiliguda haben uns einige junge Leute aus der Umgebung den Jaganath-Tempel in Koraput gezeigt. Der Tempel war nochmal völlig anders aufgebaut als alle, die wir zuvor gesehen hatten; hier wirkten zwei Gebäude wie Ställe, in denen jeder Gott seine eigene boxenartige Nische hat. Außerdem war es das erste Mal, dass wir in einem Tempel gegessen haben – ein sehr reichliches Mal. Viele junge Leute nutzen die stallartigen Tempelgebäude, um ein wenig Zeit abseits der schmutzigen lauten Straßen mit Freunden zu verbringen.
Ein paar Mal sind Berit und ich nach Littiguda gefahren, um die großartigen Projekte des dortigen Pastors (Vorname Dinesh) zu sehen und zu unterstützen. Dinesh ist seit gut acht Jahren mit einer Deutschen verheiratet, seit einem Monat sind die beiden glückliche Eltern eines Sohnes. Vor zwei Jahren hat Dinesh in Littiguda drei Pfadfindergruppen gegründet, insgesamt über 100 Mitglieder. Da Berit auch bei den Pfadfindern ist, konnte sie den Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen einiges erzählen. Anschließend habe ich mich bemüht zu erklären, wie in Deutschland der verschiedene Müll getrennt und entsorgt wird und nach Umsetzungsmöglichkeiten im Dorf gesucht, sodass der Müll nicht automatisch überall auf den Boden geworfen wird. Bei den älteren Scouts haben wir so gut es ging über die Wichtigkeit von Bäumen (Wäldern) geredet und einer von ihnen kam später zu mir und sagte, sie seien sehr glücklich darüber, dass wir über diese Dinge erzählt haben und würden es nicht vergessen, sondern versuchen umzusetzen.
Nachdem wir am Donnerstag den dortigen Himmelfahrts-Gottesdienst in den Bergen, bei dem die Scouts alle möglichen Aufgaben übernommen haben, besucht haben, hatten wir das Glück bei Dinesh‘ neuestem Projekt mit dabei zu sein. Er hat eine Frauengruppe ins Leben gerufen, um ihnen lesen und schreiben beizubringen. Als wir dort waren hatten sie gerade ihr zweites richtiges Treffen (ca. 30 Frauen, doppelt soviele wie, bei dem sie lernen sollten das Oriya Wort Alu (Kartoffel) zu schreiben. Zunächst wurde ein Spiel gespielt: Ein Wettrennen, bei dem sie eine Kartoffel auf dem Löffel im Mund balancieren mussten, anschließend eine Kartoffel gemalt, da die meisten das erste Mal einen Stift in der Hand hielten und schließlich geschrieben. Wir waren einfach nur begeistert. Der Pastor steckt so voller Ideen und weiß ganz genau, wie er sie an den Mann bringen kann und vor allem weiß er, was er tut und was die Leute brauchen.

Okay, nach diesen vielen Worten des Lobes werde ich schließen mit meinem Bericht. Ich kann sagen, ich bin sehr gespannt, was besonders der nächste Monat bringen wird – außer Regen - , denn es geht in eine andere Organisation, PIPAR, die etwas Nord-östlich von Bhunanshwar liegt und ebenfalls mit Adivasis zusammenarbeitet.


Juni pfeil Juli pfeil August                         ....Abschlussworte

Beinahe ein ganzes Jahr ist verstrichen, seit ich zum ersten Mal die Luft des indischen Subkontinents schnuppern konnte. Diese Vorstellung ist verwirrend und beängstigend, denn es bedeutet, die Heimreise ist nur noch wenige Tage entfernt. Die letzten Monate war dieser Tag, der ja kommen musste, immer nur ein unbestimmtes Datum – weit hinten im Kalender; nun ist es plötzlich nur noch eine Seite zum umblättern.
In den letzten drei Monaten habe ich noch einmal so viel Neues gesehen und erlebt, dass ich nur ungern das Land verlasse, weil ich das Gefühl habe, es wird immer interessanter, je länger ich hier bin; in kürzerer Zeit kann ich immer mehr erleben und verstehen.

Da unser Wohnort im Koraput Distrikt liegt und zwar auch noch in Semiliguda, ist der höchste Berg des Staates nicht weit. Und da wir jung und unternehmungslustig sind, haben wir uns natürlich schon zu Beginn unseres Aufenthaltes in Orissa gesagt, da müssen wir einmal gewesen sein. So haben Berit und ich uns letztlich gleich zweimal aufgemacht, diese, wohl 1876 Meter hohe Spitze Orissas zu erklimmen und das im schönsten Indischen Sommer. Es war also ordentlich warm; doch da wir in unseren letzten beiden Monaten im Land nur noch die Wahl zwischen Sommer oder Monsun hatten, haben wir uns lieber für ersteres entschieden, weil wir so unheimliche Dinge über den Monsun gehört hatten, Landschaftsbildwie zum Beispiel, es würde wochenlang ununterbrochen heftig regnen und der gleichem. Die Fahrt zum Berg – und mehr als halb hinauf – dauerte dann eine gute Stunde länger als wir erwartet hatten, weil die Straße sich wunderbar zwischen den Bergen entlang schlängelte, sodass wir häufiger dachten, falsch abgebogen zu sein. Die letzten 200 oder 300 Höhenmeter mussten wir dann schließlich doch noch kraxeln und konnten nach einer guten halben Stunde im Schweiße unseres Angesichts die gigantische Aussicht über das Land genießen: von Semiliguda bis zur Ebene von Andhra Pradesh sowie das gut erkennbare NALCO-Gelände hinter den uns bekannten tribal-Dörfer, mit denen WIDA zusammenarbeitet wurden von Fabi, Berit und mir aus drei verschiedenen Blickwinkeln anders zugeordnet – sehr interessant. Auf der abgeflachten Spitze des Berges saß eine tribal-Frau im weißen Baumwollsari in ihr Puja vertieft und summte unter monotonem Singsang und kreisförmigen Bewegungen des Oberkörpers Gebete. Überall auf dem Weg zur Spitze sieht man Zeichen für die geplante touristische Erschließung Deomalis: die gut ausgebaute Straße, ein poolartiges Trinkwasserbecken und sehr viele Aussichtsplattformen. Nach dem, was wir gehört haben, protestierten jedoch die tribals gegen dieses Projekt und das scheinbar erfolgreich, denn zu Begin des steilen Anstiegs ist damit abrupt zu Ende; die touristische Erschließung sieht für Europäer unfertig und abgebrochen aus – was allerdings nicht bedeuten muss, dass die indische Regierung die Pläne zu den Akten gelegt hat. Dafür sieht einfach zu vieles derartig abgebrochen aus, dabei ist meist einfach ein geldbedingter Baustopp der Grund.

Einige Tage darauf ging es für mich in eine andere NGO: PIPAR (Peoples Institute of Participation Action Research) im Dhenkanal Distrikt, die auch unter ODAF (Orissa Development Action Forum) mit den OBC (Other Backward Castes) zusammenarbeitet.
Das war nochmal eine unglaubliche Erfahrung! Ich war die einzige, deutsche Person weit und breit, wurde plötzlich mit dem Kastensystem Indiens konfrontiert, war landschaftlich und klimatisch in einer völlig anderen Gegend Orissas und noch dazu mitten im tiefstem Busch mit sämtlichen dazuzählenden Tieren des Subkontinents – lässt man die Tiger außen vor.Wohnung
Ich brauchte ein paar Tage um mich daran zu gewöhnen, zumal keiner der Mitarbeiter mehr als ein paar Worte Englisch sprechen konnte.
Eigentlich war ich gekommen, um ein Beispiel zu bekommen, wie andere NGOs arbeiten; leider gab es jedoch noch keinen neuen Arbeitsplan für die Feld-Mitarbeiter, weil das Geld der deutschen Partnerorganisation EED noch nicht überwiesen war wie geplant. So bin ich mit den Mitarbeitern vorwiegend einfach so in die tribal-Dörfer gefahren, habe mit den Leuten dort geredet und einen kleinen Einblick in ihr Leben bekommen, was auch nochmal sehr interessant war: im Dhenkanal Distrikt leben nicht die uns schon Bekannten Stämme wie Gadaba, Paraja oder Kondh sondern Santali, Munda und Juanga, wobei die Juanga-Stämme schon einen sehr hinduistischen Lebensstil pflegen und kaum noch ihre ursprünglichen Naturgötter verehren und traditionelle Feste feiern wie bei uns im Koraput-Distrikt. Der gesamte Entwicklungsstand im ländlichen Dhenkanal-Distrikt ist um einiges weiter fortgeschritten – immer im Vergleich zum Arbeitsgebiet von WIDA. PIPAR arbeitet mit gut 50 Dörfern zusammen, von denen 47 bereits an das staatliche Stromnetz angeschlossen sind (bei WIDA sind es vielleicht 15-20%). Insgesamt sind die Menschen dort um einiges moderner und weiter in der Entwicklung, was nicht unbedingt ausschließlich positiv gesehen werden sollte; mir sind diese Unterschiede einfach aufgefallen. Zum Beispiel sind die Dörfer viel großflächiger angelegt, die einzelnen Häuser stehen teilweise sehr weit auseinander, sodass die Dorfgemeinschaft keinen Schutz mehr bieten kann; es wird auf die eigene Familie geachtet und nicht auf das gesamte Dorf. Ich war fast geschockt, dass beinahe jeder Haushalt einen eigenen Fernseher hatte und fast alle jungen Männer ein Mobiltelefon (in Dokriguda gibt es nur eins im ganzen Dorf). Dementsprechend wird leider nur noch wenig Wert auf die alten Traditionen gelegt. In Koraput wird in jedem Dorf und bei sämtlichen Gelegenheiten der traditionelle Tanz demsha getanzt und mit selbstgefertigten Musikinstrumenten schlagkräftig unterstützt – in Dhenkanal dagegen mussten wir während eines Festivals lange suchen, bis sich in einem Dorf der Munda-community zwei verstaubte (von PIPAR angeschaffte) Trommeln und ein paar tanzbereite, betrunkene ältere Damen finden ließen, die dann aber auch unheimlich viel Spaß mit ihren alten Gewohnheiten hatten. Um uns herum standen die jungen Männer mit ihren Fotohandys und konnten es kaum glauben, eine Weiße mit ihren alten Verwandten demsha tanzen zu sehen. Zwischen den einzelnen Stämmen gibt es wie gesagt genauso Unterschiede wie in Koraput auch: Die Juangas bauen ihre Dörfer ähnlich Haus-an-Haus wie die Kondhs, wobei die Munda und Santali Stämme ihre Häuser ähnlich den Gadaba und Paraja im Gebiet „verteilen“, das Ganze nur in völlig anderen Dimensionen.
IPAR hat ganz ähnliche Arbeitsbereiche wie WIDA, allerdings gibt es keine Solar- oder Hydro-Projects. Stattdessen wurden in vielen Dörfern tiefe Brunnenschächte für die Trink- und Kochwasserversorgung ausgehoben. Außerdem wurden zusätzlich zu den Selbsthilfegruppen für Frauen, die dort meist mit großen Ziegen- oder Schafherden für das Dorf ausgestattet wurden, auch noch Gruppen für Mädchen und junge Frauen, die sich monatlich mit einer Mitarbeiterin treffen und speziell über ihr Probleme sprechen können. Ein Mitarbeiter kümmert sich außerdem um die „Übersetzung“, also das Verständlich-Machen und Publizieren sämtlicher Regierungsbeschlüsse in Bezug auf die Adivasi, um ihnen ihre Rechte deutlich zu machen; denn es gibt da bereits so einiges, ohne dass die Betroffenen jedoch davon wissen!
Während meines PIPAR-Aufenthaltes gab es ein „cultural-program“ der Santali-Dörfer, bei dem professionell demsha getanzt und getrommelt wurde und ein traditionelles Puja für die Naturgötter gehalten wurde. Der Syrponch (Bürgermeister) der umliegenden 15 Dörfer wurde allerdings mit dem Auto vorgefahren, während Kamala Khara, meine Gastmutter in Dokriguda, die auch Syrponch ist, überall zu Fuß hinkommen muss.
In Dhenkanal gibt es seit Jahren Probleme mit wilden Elefanten, die Ernten und Häuser zerstören und sogar Menschen töten. 2 Tage vor meiner Ankunft hat ein Bulle nachts ein Haus zerstört – insgesamt vier Menschen sind gestorben, eine Schwangere wurde aufgespießt. Dieser Bulle hat in den letzten drei Jahren 32 Menschen getötet und die Regierung in Form des verantwortlichen Wildlife Sancturys hat es bisher nicht geschafft, diesen Elefanten zu betäuben und wegzubringen. Die Angst der Menschen ist so groß, dass sie nach vier Uhr nachmittags nicht mehr aus den Dörfern gehen und teilweise nicht mehr in ihren unsicheren Häusern schlafen.
Ich habe die Zeit bei PIPAR unglaublich genossen, denn ich habe wirklich das Leben der Mitarbeiter richtig geteilt, ohne mich in Gespräche auf Deutsch mit den anderen Freiwilligen zurückziehen zu können. Allerdings habe ich gemerkt, wie wichtig auch das ist, sich nochmal in einer vertrauten Sprache, sei es Deutsch oder zumindest Englisch, über bestimmte Erlebnisse auszutauschen und auch bei Freunden nachfragen zu können. Denn während dieses getrennten NGO-Monats haben wir alle noch einmal völlig andere Erfahrungen gemacht, die aber im Großen und Ganzen wieder ziemlich ähnlich waren. Zum Beispiel haben wir alle viel über Hinduismus gelernt; Berit und ich insbesondere auch über die Rolle der Frauen in Indien, was uns teilweise wirklich geschockt hat.
Anfang Juli haben wir das sogenannte „Car-Festival“ in den anderen NGOs erlebt, bei dem sich der Hindu-Gott Lord Jagannath nach langer Krankheit mit seinen beiden Geschwistern auf eine neun-tägige Reise durch sein Land begibt, um nach dem Rechten zu sehen.

Nachdem ich auf der im Zug zurück nach Semiliguda unwissend meinen ersten Malariaanfall hatte und mich zwei Tage etwas erholt habe, bin ich zu der NGO gefahren, bei der Berit die Zeit verbrachte: SEDP bei Jeypore. Dort sind sogar vier junge, unverheiratete Frauen angestellt! Der Schwerpunkt der Organisation liegt in der Arbeit mit körperlich oder geistig behinderten Adivasi und Dalit. Seit zwei Jahren werden sämtliche „Fälle“ in der Umgebung aufgenommen, anschließend bekommen die Familien Unterstützung und Anleitung im Umgang mit ihren Kindern, außerdem finden regelmäßig Treffen statt und es werden Führungspersonen ausgebildet, die auf höherer politischer Ebene für die Rechte und Bedürfnisse der Menschen eintreten können.

Am 11. Juli waren wir schließlich alle wieder auf unserem Campus in Semiliguda versammelt um Fabians Geburtstag zu feiern, bis auf Sven, der sich in Bissam Cuttack bei Johnny Ohmen mehr gebraucht fühlte. Dabei gab es wieder eine wunderbare indische Torte und ein Großteil der Mitarbeiter kam zum Gratulieren, was immer ein eher kurzes, aber sehr nettes Ereignis ist. Die folgenden Tage verbrachte ich abwechselnd mit Ausruhen aufgrund meiner mittlerweile diagnostizierten Malaria oder auf dem Weg nach Chicalmari, dem Kondh-Dorf in den Bergen hinter Pottangi, um Material für Neubau und Ausstattung der Grundschule – das von Lorenz‘ Vater ins Leben gerufene Projekt – zu begleiten und abzuladen.
Dann war ich noch einige Male bei Dinesh in Littiguda, der mit seinen Schülerinnen des Abendkurses zum Lesen und Schreiben nach einem Monat zum Kochen eingeladen hatte. Das erste Wort, was die Frauen schreiben lernten, war Alu, das Oriya-Wort für Kartoffel. Also kochten nach einem Erntedank-Gottesdienst mit anschließender Versteigerung von gespendeten Dingen alle Frauen verschiedene Gerichte aus Kartoffeln. Es tut jedesmal super gut Dineshs Arbeit zu sehen und sich mit ihm zu unterhalten. Er geht mit soviel positiver Energie an die Arbeit, ist immer offen für Neues und hört zu.

Während Lena mit Kibnddieser letzten Wochen hatte ich ständig das schreckliche Gefühl, mir bleibt nicht genug Zeit hier in Indien… Ich war immer wieder für kurze Zeit in Dokriguda und habe dabei Kamala häufig bei ihrer Arbeit als Syrponch begleitet. Fast täglich muss sie zu Fuß ins Office nach Deopottangi oder sogar die acht Kilometer nach Pottangi um sich um die Belange „ihrer Dörfer“ zu kümmern. Als Frau wird sie dabei nur zu gern warten gelassen, denn die Beamten werden in der kurzen Arbeitszeit, die sie täglich haben, mit Anfragen bestürmt. Viele Formulare, wie Einschulungspapiere, die die Adivasi ausfüllen müssen, sind zudem auf Englisch und mit so vielen Abkürzungen gespickt, dass auch ich oft nicht helfen konnte und diese Leute haben niemanden, an den sie sich wenden können...
In dieser Zeit kamen auch die neuen Schüler für die beiden Bridge-Course-Camps von WIDA. Dieses Mal sollten trotz eines abgesprungenen Geldgebers sogar drei Klassen geben, wofür der Platz allerdings kaum ausreicht und eine Klasse nun in der Küche der einen Lehrerin leben muss, was für alle Beteiligten auch nicht die perfekte Lösung ist.
Ende des Monats haben wir es dann auch endlich doch noch geschafft, ein paar Tage in dem Guesthouse der Jeypore Church zu verbringen, worüber sich unsere dortigen Freunde sehr gefreut haben. Das Haus hat uns sehr beeindruckt – die Räume und Betten waren riesig, mit schweren Schränken und Kommoden ausgestattet und es gab eine Badewanne!!
Ich habe nach kurzer Zeit allerdings festgestellt, dass das Jeypore, was ich in Erinnerung hatte, doch nicht so besonders groß ist, obwohl es tatsächlich eine Ampel gibt.
Mit Berit, Fabian, Lynn und Christian haben wir dann ein weiteres Mal SEDP/Jeypore besucht und eine Mitarbeiterin bei der Arbeit begleitet.
Nach einer kurzen Nacht zuhause auf dem Campus ging es für Fabi, Lynn und mich morgens schon wieder weiter Fabians NGO Seva Bharati zu besuchen. Das war auch eine der besten Entscheidungen meinerseits, trotz allen Zeitmangels auch noch dieser NGO einen Besuch abzustatten. Ich glaube, wir waren knapp vier Tage dort und es waren definitiv einige der Interessantesten im gesamten Jahr. Sämtliche Mitarbeiter, allen voran der Chef höchstpersönlich, hatten die gesamte Zeit durchgeplant und wollten uns soviel zeigen, wie es nur geht. Die Begeisterung für die eigene Arbeit, die Kultur der Adivasi und vor allem die Wille diese Begeisterung auch bei anderen, z.B. bei uns Besuchern, zu wecken war überall spürbar, das werde ich nie vergessen.
Nach WIDA, PIPAR und SEDP/Jeypore war Seva Bharati nun die vierte NGO unter dem ODAF-Schirm die ich besuchte und mir sind einige Unterschiede auch in Bezug auf den sogenannten Entwicklungsstand (gemessen am Besitz von Luxusgütern wie Mobiltelefonen, Fernsehern und Bildung) der Zielgruppe aufgefallen. Während diese Besitztümer in Dhenkanal im Arbeitsgebiet von PIPAR weitaus mehr vertreten waren als bei uns in der Umgebung von Semiliguda, sah das dort im Kandhamal und Kalahandi Distrikt, in dem Seva Bharati arbeitet nochmal ganz anders aus. BildObwohl ich den allgemeinen Bildungsstandard dort schlecht beurteilen kann, denn ich habe einerseits super funktionierende weiterführende Schulen, aber andererseits auch quasi nicht vorhandene Grundschulen in den abgelegenen Dörfern, in die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit kaum ein Lehrer verirrt. Die Dörfer waren meistens noch um einiges weiter ab vom Schuss als im Koraput Distrikt und so von modernen westlichen Einflüssen einigermaßen isoliert. Wir haben dort nochmal eine völlig andere und beeindruckende Kultur der Adivasi (Kutyia und Dongria Kondh) kennen lernen können mit rauschenden Festivals, bei denen sämtliche Stammesmitglieder zusammenkommen und sich nach dem Höhepunkt des Festes triumphierend mit den tapfer erbeuteten, noch warmen blutigen Teilen des geopferten Wasserbüffels auf den Weg in ihre weit verstreuten Dörfer machen. – Leider konnten wir dieser Tradition nur im Arbeitszimmer des Chefs auf dem ruhigen Campusgelände beiwohnen, was dennoch ganz schön Eindruck hinterlassen hat.
Dafür bekam ich noch die Gelegenheit bei einer „death ceremony“ zuzuschauen, worüber Lorenz und Berit und auch Fabian schon einiges erzählt hatten und so war ich, trotz des natürlichen unschönen Anlasses, froh, auch dieses Ritual einmal erleben zu können. Die Adivasi kennen da dann auch keinerlei Bedenken was Filmen oder Fotografieren angeht und viele ermuntern mich immer alles ganz genau festzuhalten, was mir häufig unangenehm ist und ich nicht weiß, ob ich nicht doch die Privatsphäre der Leute störe, obwohl es oft gerade die am meisten Betroffenen sind, die mich laut dazu auffordern.
Natürlich haben wir auch die Projekte der Organisation gesehen und erklärt bekommen, wie zum Beispiel eine kleine „Fabrik“, in der nun wertvolle Nahrung für Mütter und Kleinkinder hergestellt und abgepackt wird. Dann gibt es noch ein Mini-Hydro-Project in einem entlegenen Dorf der Kutiya-Kondh, auf das der Chef besonders stolz ist. Nach dem Vorbild des WIDA-Projekts in Putsil wurde dort auf einem Berg ein großes Staubecken gebaut, dessen Wasserkraft Pflanzen gedeihen und das Dorf nachts erstrahlen lässt. Ein sehr interessantes Vorhaben ist der Neubau sämtlicher Häuser in einigen Dörfern: die Dächer sind oval und sollen besser isolieren; zusätzlich sind die Kosten geringer. Leider geht der Bau aufgrund von Transportschwierigkeiten und langsamen Finanzierungsmöglichkeiten etwas langsam voran (ein Eindruck). Die Maoisten sind in der Gegend ein noch größeres Problem als in Koraput. Teilweise werden Shopbesitzer gezwungen tagelang ihre Läden geschlossen zu halten, um Druck auf die Regierung auszuüben, oder es werden wichtige Brücken zerstört, wodurch die Adivasi abgeschnitten sind. In den Jahren 2007 und 2008 gab es gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Christen mit vielen Toten auf beiden Seiten, weshalb der Chef der Organisation Pramod Pattnaik mit vielen anderen ein gemeinsames Fest organisiert hat, um so etwas in Zukunft vorzubeugen und eine gemeinsame Basis für die Jugend beider Religionen zu schaffen.
Nach unserem Besuch fuhren Fabi und Lynn zurück nach Semiliguda, ich wollte jedoch noch einen Abstecher nach Dhenkanal zu PIPAR machen, da ich alle gerne noch einmal wieder sehen wollte, bevor es für unbestimmte Zeit nach Deutschland ging. In dem Moment war ich davon nicht mehr so begeistert, da wir gerade so viel erlebt hatten und ich lieber noch ein paar Tage in Seva Bharati verbracht hätte, was definitiv lohnend geworden wäre. Hinzu kam, dass ich mitten in der Nacht in Dhenkanal ankommen würde und nicht ganz sicher war, ob ich abgeholt werden würde und ich nur ein paar schreckliche heiße Stunden im Sleeper-Wagen des Zuges schlafen konnte. Im Zug habe ich dann aber wieder augenblicklich wunderbar nette Herren kennengelernt, die mich auch sehr bestimmt an ihrem Abendessen teilhaben ließen – denn natürlich hatte ich mal wieder nichts dabei als ein paar Bananen – und so war ich dann bereits wieder frohen Erwartens als der Zug mit einer Stunde Verspätung um vier Uhr morgens am Ziel eintraf und ich sogar von zwei Parteien PIPARs, einem field-Mitarbeiter mit Motorrad und der Frau vom Direktor mit A/C-Auto abgeholt wurde. Ich hatte ein ganz schön schlechtes Gewissen, dass sie so lange warten mussten und sie zu zweit da waren, obwohl das wohl eher an organisationsinternen Kommunikationsproblemen lag.
Jedenfalls war ich endlich da und ich war sehr froh darüber sie wiederzusehen!
Wir haben gemeinsam wieder ein paar Dörfer besucht und nach zwei sehr netten Tagen bin ich mit der Mitarbeiterin Sabita zu ihrer Familie im Cuttack Distrikt gefahren. Sie ist seit zwei Monaten verheiratet und ihr Mann arbeitet in Goa, sodass Sabita meist zu ihrer eigenen Familie fährt, wenn sie einige Tage frei hat. Eigentlich wollten wir nur eine Nacht bleiben, es wurden dann aber natürlich doch zwei daraus, wovon ich am Anfang nicht gerade begeistert war. Die Familie war einfach in einem unglaublichen Maße an meinem Wohlergehen besorgt, dass mir immer schlechter zumute wurde. Diese indische Gasfreundschaft und meine Selbstaufgabe hat bei weitem alles übertroffen, was ich bisher erfahren hatte und gleichzeitig bekam ich einen wunderbaren Einblick in das Leben einer hinduistischen Familie der unteren Mittelschicht. Sabitas Vater betreibt einen kleinen Obstladen und so wurde ich voll Freunde mit verschiedensten Früchten vollgestopft, als ich mehrmals deutlich gemacht hatte, ich bin kein Fan der indischen Snacks. Am zweiten Tag sind wir glücklicherweise mit einem Freund Sabitas(tatsächlich männlich) auf einen heiligen Berg geklettert und nach diesem kleinen, netten und anstrengendem Ausflug fühlte ich mich auch mit der Familie viel wohler – sie waren einfach unvorstellbar lieb!
Zum Abschluss meiner Reise bin ich mit einem der Mitarbeiter und der Frau vom Chef zum berühmten Sonnentempel nach Konark und dem Jagannath Tempel in Puri gefahren – den wichtigsten Orten für Hindus und folglich auch Touristen in Orissa überhaupt. Und nun muss ich mich nicht mehr schämen, Wasserfallein Jahr in Orissa gewesen zu sein ohne diesen Sehenswürdigkeiten einen Besuch abzustatten, die für viele Grund genug sind für eine solche Reise. Es war auch das erste mal seit langem, dass ich wieder am Meer war, was mich sehr gefreut hat, obwohl es der starken Strömung wegen wirklich gefährlich wäre, richtig schwimmen zu gehen.
Überall in ganz Orissa sah man dem Land den Wassermangel an und viele Menschen sprachen über den schwachen Monsun dieses Jahr. Als ich das erste Mal nach Dhenkanal fuhr und wir den ca. zwei Kilometer breiten hati-river überquerten, war es bis auf ein paar kleine Bächlein ein einziges Sandbett und ich fragte, ob es in der Monsunzeit tatsächlich voll Wasser sein würde, was mein Sitznachbar bejahte. Gute eineinhalb Monate später war lediglich ein vielleicht acht Meter breites Strömungsbett entstanden – und das mitten im Monsun.
Als ich zurück in Semiliguda wieder nach Dokriguda zurückkehrte und gefragt wurde, wann ich denn aus Deutschland wiederkommen würde, sagte ich, vielleicht in vier oder fünf Jahren. Da waren alle traurig über den langen Zeitraum und meinten, bis dahin seien sie schon gestorben. Ich war entsetzt und tat das erst ein bisschen als Quatsch ab, allerdings zeigten sie auf ihren frisch ausgepflanzten Reis: Wenn sie nichts ernten können, haben sie nichts zu essen und sterben. Zu dem Zeitpunkt waren die jungen Reistriebe noch strahlend grün, allerdings war der Himmel darüber fast immer wolkenlos und die Sonne brannte auf unsere Köpfe. Der Schlamm, in den wir die Pflanzen gesetzt hatten, war längst hart und rissig geworden, wo die grünen Halme nun festtrockneten.
Sven und ich haben in Dokriguda noch ein Abschiedsfest organisiert, für das wir uns um Essen und Getränke für alle gekümmert haben. Nach anfänglichen Schwierigkeiten und, weil Sven es für unnötig empfand, schon morgens ins Dorf zu fahren, um alles mit vorzubereiten, gab es abends dann doch ein großes gemeinsames Essen zunächst für die Kinder, dann für die Frauen und Männer, sowie die Köche. Leider konnte auch keiner der WIDA-Mitarbeiter uns begleiten und so blieb alles an mir, es zu organisieren und den Leuten zu versichern, dass wir – insbesondere Sven – auch kommen würden. Das war nicht so leicht, zum einen natürlich wegen sprachlicher Hindernisse und zum anderen, weil ich es allen möglichst Recht machen wollte und auch unbedingt Sven mit dabei haben wollte, da immer oft nach ihm gefragt wurde – von seiner Seite jedoch nicht so viel Interesse da war – und so bin ich einige Male zwischen Semiliguda und Dokriguda hin und her gefahren und habe wirklich versucht, es nach meinemAbschied Vermögen bestmöglich zu planen. Am nächsten Morgen ist Sven schon um halb sechs gefahren ohne sich zu verabschieden und ich blieb zurück und kam wieder in traurige Erklärungsnot… Jedenfalls blieb ich noch eine weitere Nacht und bin auch zwei Tage vor unserer Abfahrt nach Delhi für zwei Tage ins Dorf gefahren. Der Abschied viel allen unglaublich schwer; die Kinder haben nicht verstanden, warum die Älteren so traurig sind und gingen etwas auf Abstand.
 

Auf der Fahrt nach Vizag haben wir drei, Christian, Berit und ich, noch Halt bei der einen Mitarbeiterin Hema gemacht und uns von ihr verabschiedet. Sie ist wirklich eine klasse Mitarbeiterin und Lorenz und Berit konnten sich glücklich schätzen, dass sie so häufig mit nach Chicalmari gefahren ist.
Ja, und dann haben wir die letzten fünf Tage unseres Indien-Jahres in der Hauptstadt Delhi verbracht, wo Anna Hazare gerade seit acht Tagen am Hungern war, um die Lokpal Bil gegen Korruption durchzusetzen.
Wir haben einen wunderschönen Sikh-Tempel sowie den berühmten Dilli-Hat besucht, dem Gate of India ebenso wie dem Red Fort Respekt gezollt und natürlich auch einen Tag in Agra verbracht.Taj Mahal Sobald man durch einen Torbogen blickt und plötzlich das Taj-Mahal vor Augen hat, wird man doch für einen Augenblick still; es ist wirklich sehr beeindruckend! Und natürlich hat man es schon auf Bildern und in Filmen gesehen, aber den wahren Anblick würde ich schon fast atemberaubend nennen. Ich war verblüfft über dieses unvorstellbare Gebäude, das ein Großmogul im Jahr 1632 als Beweis seiner Liebe zu seiner Hauptfrau bauen ließ.

Von Delhi waren wir auch ziemlich beeindruckt, denn die Hauptstadt Indiens hat nicht sehr viel mit dem Land selbst gemein. Das wahre Indien bleibt einem als normaler Tourist in Delhi wahrscheinlich verborgen und man findet bestimmt viele Ähnlichkeiten zu anderen arabischen oder afrikanischen Städten. Wir waren das erste Mal seit Pondicherry im Februar wieder in einem Supermarkt, in dem man unter anderem auch Käse und richtiges Brot mit Körnen kaufen konnte – geschweige denn vom Süßigkeiten Angebot oder der Wursttheke. Ich fühlte mich angesichts dieser Fülle und inmitten großer, wohlhabender Inder ziemlich überrannt und verloren und fragte mich: Ist ein solches Maß an Konsum nötig? Ich jedenfalls hatte es auch sehr gut ohne ausgehalten.
Anschließend sind wir durch diese MegaMalls mit den westlichen Geschäften und Angeboten gegangen und ich fühlte mich ganz schön blöd, in meinen einfachen Flip Flops, die auf den tribal-Märkten für umgerechnet einen Euro verkauft werden und modernere Inder bestenfalls als Klolatschen benutzen, über die spiegelglatten Böden zu laufen. Und auch mein indisches Oberteil, für das ich in Semiliguda und Dhenkanal so viele Komplimente bekommen hatte, war hier längst nicht mehr modern – von meinen vielen klimpernden, aber schlichten Glasarmreifen ganz zu schweigen.
Ich mochte die Malls nicht und wollte lieber wieder in die schwüle Hitze, als meine letzten Tage in Indien beschallt von westlicher Musik in teuren Geschäften zu verbringen, die auf mindestens 20°C unterhalb der Außentemperatur herunter gekühlt waren.
Es fiel mir immer noch schwer zu glauben, dass es wirklich zurück nach Deutschland ging und nicht wieder nach Semiliguda und erst, als wir auf dem Rückflug in Finnland abhoben und über die Ostsee flogen, konnte ich es langsam realisieren und ich wunderte mich, wie ich das Meer vermisst habe und freute mich darauf.
Als wir im Hamburger Flughafen auf unser Gepäck warteten, hatte ich Angst hinauszugehen: Das war unser einjähriger Aufenthalt in Indien.

Ein Resümee über mein Jahr zu ziehen fällt mir auch jetzt, sechs Wochen nach meiner Rückkehr immer noch unheimlich schwer. Es war ein Jahr, das mich in so vieler Hinsicht unglaublich bereichert hat und, wenn ich beginne etwas Konkreteres zu erzählen, um der stets präsenten Frage „Wie war es?“ auszuweichen, fallen mir sofort tausend weitere Dinge an, die ich unbedingt erzählen möchte, am besten ohne die Zuhörer zu langweilen, zu überfordern oder die kurze Zeitspanne einzuhalten, die mir oft aus Höflichkeit gegeben wurde, um zu erzählen. Denn Zeit ist ein wichtiges Gut hier in den sogenannten entwickelten Ländern.
Ich verzweifele immer noch regelmäßig an derartigen Schwierigkeiten.
Ich habe so vieles gelernt und mitgenommen und ich denke, dass auch ich viel gegeben habe und Leute von mir lernen konnten, allein durch Unterschiede im Auftreten.
Daher bereue ich es auf keinen Fall, mich für das weltwärts-Programm entschieden zu haben – auch, wenn es damit letztlich nicht geklappt hat, ich aber trotzdem mit einer Erweiterung des Programms „Der andere Blick“ ausreisen konnte J Ich bin der Ansicht, selbst bei derart immensen Kosten von über 7000 Euro pro Freiwilligen, ist es sinnvoll solche Erfahrungen auch in Zukunft zu ermöglichen und dafür Gelder meist guten Gewissens zu verwenden. Bei Summen in diesen Höhen ist das allerdings sehr kontrovers, zumal man von vielen Seiten scharfe Kritik am Sinn und Zweck des weltwärts-Programms hört – meist aufgrund von Unwissen und Fehlauslegung.
Das Programm ist im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung angesiedelt; dabei war es von vornherein klar, dass es sich eher um ein Lernprogramm als um ein wirkliches Hilfsprogramm handelt, was man ja so gern der Entwicklungshilfe zuschreibt. Die Zielgruppe von weltwärts sind eindeutig sämtliche junge Erwachsene mit deutscher Staatsbürgerschaft, die sich für andere Kulturen und Lebensverhältnisse interessieren; nicht nur frischgebackene Abiturienten; aber ebenso wenig wird eine bestimmte Fertigkeit verlangt, die zum Beispiel durch eine abgeschlossene Berufsausbildung erlangt werden konnte – um „richtige“ Entwicklungshilfe leisten zu können. Es ist von Vorteil, praktische Fertigkeiten zu haben, die die Freiwilligen dann spielerisch und sozusagen nebenbei an die Leute weitervermitteln können, die sie dann selbst anwenden können entweder privat oder beruflich. Dieses Thema kann man noch lange behandeln, aber ist jetzt vielleicht nicht nötig…
Jedenfalls habe ich unglaublich viel über Sinn und Zweck von Entwicklungshilfe gelernt und darüber bin ich sehr froh. Und vor allem habe ich gesehen, wie glücklich die Adivasi sind und was für wunderbare Menschen. Sie haben kein Strom, fließend Wasser oder die Hilfe großer Landmaschinen – natürlich beneiden sie uns und alle anderen Menschen darum und das kann ihnen niemand verübeln; dennoch bin ich glücklich, dass ich noch auf die andere Art mit ihnen leben konnte und habe jetzt Angst, was die moderne Zukunft für sie mit sich bringt und wie sich ihr Leben verändert…
Ich denke auch, dass WIDA sehr gute Arbeit leistet, indem sie die Adivasi in ihrem Kampf um ihren Lebensraum gegen die großen Unternehmen unterstützen. Allerdings sollte man vielleicht den Schwerpunkt etwas mehr verlagern und zum Beispiel in den Bridge-Course-Camps weitere Fächer anbieten, in denen etwas über die traditionelle Kultur der Stämme und auch wirklich(!) nachhaltige Landwirtschaft gelehrt wird. Das würde aber den finanziellen Rahmen und Möglichkeiten sprengen.
Dafür würde ich mich guten Gewissens einsetzen und vielleicht ist so eine Idee doch irgendwie realisierbar. Außerdem hoffe ich auf eine Fortsetzung von Programmen wie „weltwärts“ oder „Der andere Blick“ und setze mich gerne dafür ein breiteres Interesse zu gewinnen für diese Idee interkulturellen Lernens. Viele meiner Bekannten erwarten immer einen greifbaren Zweck solcher Programme und es ist nicht immer einfach, auch von der Wichtigkeit der „weichen“ Faktoren zu überzeugen, da sie vielleicht nicht sofort ersichtlich sind. Diese ganzen Themen sind sehr kontrovers und selbst nach so einem Jahr mit so viel Neu-Erlerntem fällt es mir schwer, völlig ohne Zweifel und vollkommen von einer bestimmten Richtung überzeugt, darüber zu schreiben oder gar zu sprechen. Aber mein Lernprozess ist ja glücklicherweise noch nicht zu Ende.
Für mich war dieses Jahr mit all den positiven und negativen Erlebnissen eine unglaubliche Erfahrung, die ich niemals missen möchte!
Die Vorbereitung durch das NMZ war meiner Meinung sehr gut. Wir waren eigentlich auf alles vorbereitet worden; auch auf das andere Verständnis von Arbeit oder Zeit und Langeweile oder dem Mythos der Entwicklungshilfe leisten. Genauso waren uns auch von vornherein die guten und schlechten Seiten einer siebener Gruppe klar. Was dann jeder einzelne für sich aus den Vorbereitungen macht, welche Schlüsse man für sich zieht, ob es inwieweit sinnvoll und gut ist, sich tatsächlich für einen solchen Freiwilligendienst zu entscheiden oder bereits entschieden zu haben, ist wohl kaum zu verallgemeinern.
Ich möchte noch sagen, dass ich es auf jeden Fall noch viel mehr gelernt habe, mich wirklich voll und ganz einfach auf die Dinge einzulassen wie sie eben kommen. Als ich zum Beispiel die ersten Tage bei der anderen NGO PIPAR war, hatte ich teilweise einen komischen Eindruck von den Mitarbeitern – den Männern, Hindus, Brahmanen. Ich habe in der Zeit ausnahmsweise regelmäßig viel Kontakt nach Hause gehabt und meine Mutter schlug mir vor, ich könnte doch darüber einen Text schreiben, was ich jedoch nicht wollte, da ich mir meiner Ansicht nach noch kein richtiges und umfassendes Bild gemacht hatte und niemanden aufgrund von Unverständnis verurteilen wollte. Im Nachhinein hat sich alles geklärt und ich bin froh, dass ich abgewartet und weiter beobachtet und gelernt habe!